Tag 3

Nachdem ich es so ein bisschen habe sacken lassen, fällt mir auf, dass es gar nicht um dringende Dinge geht, die Zeit und Kraft für anderes rauben. Sondern einfach um Dinge, die anstehen. Zu denen ich mich verpflichtet habe oder die ich bewältigen muss, weil es von mir erwartet wird. Selbst schuld, also … Und was mir wahnsinnig auf die Nerven geht in der bisherigen Lektüre, ist dieses „Du wirst reich und damit auch glücklich“. Reich zu werden scheint das Hauptziel dieser Bücher zu sein. Will ich aber gar nicht. Wozu? Ich möchte zurechtkommen und zufrieden sein. Und das Gefühl habe, ein sinnvolles Leben zu leben.
Die andere Frage ist allerdings, warum ich mich nicht um die brach liegenden Aspekte meines Lebens kümmere (darum geht es in diesen Büchern dauernd, von Sport treiben über Intervallfasten bis Keller aufräumen). Warum kümmere ich mich zum Beispiel nicht um meine kaputte Stimme? Die macht mir im Alltag so oft zu schaffen. Das mit dem Atmen kann ich kaum ändern, gar nicht, um präzise zu sein. Aber an der Stimme könnte ich etwas tun. Dennoch mache ich seit über einem halben Jahr keine Logopädie mehr. Keine einzige Übung. In meiner Seele ist immer noch, dass das nur ein vorübergehender Zustand ist. Eines Tages werde ich wieder meine normale Stimme haben, werde singen können und so sprechen, dass man mich versteht. Mein Kopf weiß: niemals.

Und dann kommt wieder der Aspekt: Du verschleuderst deine Zeit mit Mist. Wenn du schon mal Zeit hast, dann meditierst du nicht, sondern hörst Plapper-Podcasts. Du gehst nicht spazieren oder spielst mit einem Hund, sondern löcherst Chat GTP nach Quatsch oder liest (zumindest beruflich) die siebzigste Variante eines Generationenromans oder eines Krimis, dessen Plot du nach zwei Tagen vergessen hast.

Heute schwanke ich. Ist die Antwort im Glauben? Es ist so eine perfekte Antwort! Für alles ist gesorgt, man weiß genau, was man machen muss, das ganze ist mit Sinn durchwirkt. Aber ich habe Zweifel. Was kann es sonst sein? Mir fällt es einfach nicht ein. Oder ist es einfach nichts? Das alte „Hauptsache, es geht dir gut“, und es geht einem ja gut in einer schönen Beziehung, einem Job, der zwar langweilig ist, aber man wird auch nicht überfordert, hat nette Kolleginnen, man wohnt in einem schönen Haus, in einer friedlichen (ja, langweiligen) Gegend. Es gibt immer gute Sachen zu essen, man hat immer ein schönes Buch zur Hand, macht nette Reisen. Was, bitte schön, will man mehr? Man schläft gut in einem weichen Bett, muss zurzeit nicht einmal vom Wecker geweckt werden, es gibt alles, was man braucht und mehr, aber es bleiben auch ein paar kleine Wünsche offen – es ist doch alles so gut! Bis auf diese blöde Leerstelle. Und die besteht wahrscheinlich nur deshalb, weil man erzogen wurde, immer ein bisschen über sich hinauszuwachsen, immer etwas mehr von sich und dem Leben zu verlangen. Vielleicht ist das alles Quatsch. Vielleicht sollte ich einfach zufrieden sein und mich auf die nächste Folge von »Nine Perfect Strangers« freuen? Vielleicht brauche ich einfach nur einen kleinen Hund.